Der alte Kettenhund

Ich bin allein. Es wird schon Nacht
und stille wird's im Haus.
Dort ist ein Feuer angefacht
dort ruht mein Herr sich aus.
Er liegt im warmen Federbett
deckt bis ans Ohr sich zu;
und ich auf meinem harten Brett
bewache seine Ruh.

Die Nacht ist kalt, ich schlafe nicht;
der Wind aus Ost weht kalt.
Die Kälte ins Gebein mir kriecht,
ich bin ja auch schon alt.
Die Hütte, die mein Herr versprach,
erlebe ich nicht mehr;
der Regen tropft durchs morsche Dach,
Stroh gab es längst nicht mehr.

Die Nacht ist lang, der Hunger quält.
Mein Winseln niemand hört.
Und wüsst' mein Herr auch, was mir fehlt,
er wird nicht gern gestört.
Die Nacht ist lang. Zum zehntenmal
leck ich die Schüssel aus;
den Knochen den ich jüngst versteckt,
den grub ich längst schon aus.

Die Kette, die schon oft geflickt,
sie reibt den Hals mir bloß,
sie reicht nur noch ein kurzes Stück,
und nie werd ich sie los.
Was Freiheit ist, das lernt ich nie,
doch weiß ich, dass ich treu.
So lieg ich, warte auf den Tod,
denn dieser macht mich frei.


Autor: unbekannt
aus: Vereinsjournal 1/96